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Interview mit Dr. E.P. Jeevan (B.A.M.S.)

Interview mit Dr. E.P. Jeevan (B.A.M.S.)

21.04.2005 | "Das große Potential von Ayurveda liegt in der Prävention."Dr.Jeevan, BAMS ist praktizierender ayurvedischer Arzt mit über 19 jähriger klinischer Erfahrung in indischer Medizin. Seine klassische 7,5jährige Ausbildung am Coimbatore AYURVEDA College zusammen mit intensiven Yoga und Sanskrit Studien geben ihm ausgezeichnete Expertise auf allen Feldern des Ayurveda. Nach mehrjähriger gründlichster Lehrtätigkeit am namhaften Coimbatore AYURVEDA College wendete sich Dr. Jeevan der herausfordernden Aufgabe zu, Studenten internationaler Herkunft zu unterrichten.

ayurveda-portal.de: Wie sind Sie zu Ayurveda gekommen ?

Dr. Jeevan: Ich stamme nicht aus einer traditionellen Ayurveda-Familie, aber ich habe seit meiner 5. Klasse Sanskrit gelernt. Nach meinem Abitur erhielt ich ein Stipendium für das Ayurveda Coimbatore College. Es wurden für diesen Jahrgang 20 Stundenten aus ganz Indien ausgewählt. Das Studium war im Curriculum System (Anm. d. Red.: Das Wort "Curriculum" (lat.: Ablauf des Jahres) wird gelegentlich unzutreffenderweise mit "Lehrplan" oder Lehrzielvorgabe gleichgesetzt. Ein Lehrplan ist in der Regel auf die Aufzählung der Unterrichtsinhalte beschränkt. Das Curriculum orientiert sich hingegen mehr an Lehrzielen und am Ablauf des Lehr- bzw. Lernprozesses bzw. des Studiengangs. Insbesondere enthält es Aussagen über die Rahmenbedingungen des Lernens.) aufgebaut und dauerte 7,5 Jahre. Studenten und Professoren lebten zusammen auf dem Campus.

ayurveda-portal.de: Wie waren denn die Kriterien bei der Vergabe dieser Stipendien ?

Dr. Jeevan: Erstmal benötigte man ein abgeschlossenes Abitur mit Physik, Biologie und Chemie. Mein Vorteil war zudem, dass ich schon 7 Jahre Sanskrit in der Schule gelernt hatte. Außerdem wurde das Horoskop der Studenten hinzugezogen.

ayurveda-portal.de: Wie haben Sie das Studium erlebt ?

Dr. Jeevan: Damals war es so, dass man im Umfeld von Schulmedizinern und Ingenieuren als Ayurveda-Student immer ein wenig belächelt wurde.
Ich begann mit 17 und als moderner Inder war die ersten drei Jahre der Ausbildung nicht wirklich interessant, aber als wir dann mit der klinischen Praxis, mit der Arbeit am Patienten, begannen, haben wir verstanden, dass es wirklich funktioniert. Da wurde es dann richtig interessant.

ayurveda-portal.de: Wie ging es weiter ?

Dr. Jeevan: In 1989 machte ich mit 24 meinen Abschluss als B.A.M.S. Eigentlich wollte ich weiter studieren, um meinen MD (Medical Doctor) zu machen, aber es ergab sich ein anderer Weg.
Zu der Zeit kamen nämlich immer mehr Westler nach Indien, die sich für Ayurveda interessierten und mehr darüber lernen wollten.
Wir waren die einzigen Studenten in Indien, die Ayurveda in Sanskrit und Englisch studierten.
In 1989 startete das Ayurveda Coimbatore College mit einem 3-monatigen Einführungskurs in Ayurveda für Westler. Mein Glück war, dass ich als Lehrer ausgewählt wurde.
Außerdem unterrichtete ich indische Studenten an diesem College.
In 1995 lud mich ein italienischer Student ein, in Italien zu lehren. Ich verließ Indien und ging nach Italien. Dort arbeitete ich im Rahmen eines internationalen Kultur-Austauschprogramms mit dem Ayurveda Coimbatore College als Ayurveda Arzt und gab Kurse für Laien und Doktoren. Ich blieb über ein Jahr in Italien und ging dann wieder zurück nach Indien.
Schon vor Italien hatte ich dort meine zukünftige Frau kennengelernt, die eine Studentin von mir war. Wir heirateten in Indien und gingen dann nach Deutschland. 1997 gründeten wir  in Nürnberg Ayurveda Care.

Meine Vision hier in Europa ist, dieses uralte Medizinsystem in seiner ursprünglichen Wahrhaftigkeit zu lehren. Mehr und mehr Menschen sollen den medizinisch, wissenschaftlichen Aspekt von Ayurveda erlernen und verstehen.


ayurveda-portal.de: Inwieweit sind die klassischen Schriften auf den Westen übertragbar?

Dr. Jeevan: Der Ayurveda erklärt sich selbst:

entsprechend dem Ort
entsprechend der Zeit
entsprechend den Menschen

Die Prinzipien müssen gewahrt werden, aber eine Veränderung an die regionalen Besonderheiten ist sinnvoll.
Das Problem hier im Westen: die Prinzipien werden verändert.
Wir müssen die Herangehensweise adaptieren, aber die grundsätzlichen Prinzipien wahren.
Die Pflanze kann man ändern, die Dosierung, selbst die Massage.
Dazu möchte ich noch Folgendes sagen: es gibt in dem Sinne keine "ayurvedische" Massage, es ist immer das Auftragen von speziell ausgewählten Ölen auf die Haut.

Der Ayurveda sagt, man sollte mit den regionalen Nahrungsmitteln groß werden. Das ist hier natürlich überhaupt nicht der Fall. Heute gehen wir zum Japaner, morgen zum Chinesen.
Der Ayurveda sagt, man solle die Pflanzen des eigenen Landes verwenden.
Um aber die Prinzipien des Ayurveda auf die heimischen Pflanzen umzusetzen, braucht es viele Jahre Erfahrung, das ist Tradition.
Wenn wir die westlichen Pflanzen studiert haben, dann sollte es eine westliche ayurvedische Medizin geben.


ayurveda-portal.de: Sie haben ja in beiden Ländern gelehrt und praktiziert. Welches sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Welche Vergleiche können Sie ziehen ?

Dr. Jeevan: Die Massagen hier unterscheiden sich sehr von den Massagen in Indien. Das liegt an einem grundsätzlichen kulturellen Unterschied für einen Inder ist die Stille nicht angenehm, der Inder braucht Konversation, im Westen brauchen die Menschen Ruhe, um zu regenerieren.

Hier besteht ein großer Bedarf daran, Ayurveda zu verstehen, die Krankheit zu verstehen. In Indien ist es Sache des Arztes, sich damit auseinanderzusetzen.
In Indien wollen die Leute in der Regel nichts hören bzw. die Ärzte sind gar nicht bereit, viel zu erklären, was sich  allerdings mittlerweile wieder ändert.
Die Arbeit des ayurvedischen Arztes ist die Auswahl der richtigen Pflanzen und deren Kombination und der Patient geht nach Hause, um dann z.Bsp. ein spezielles Öl aufzutragen. Nur die Reichen lassen sich in Indien massieren.
Das ist hier im Westen ganz anders.

Außerdem gibt es in Indien mehr körperliche Krankheiten, hier sind es viele mentale Erkrankungen. Aber um die mentale Krankheit zu heilen, muss erst der Körper gesund sein.

In Indien gebe ich höhere Dosen, hier reagieren die Leute sehr stark.

ayurveda-portal.de: Als indischer Ayurveda-Arzt machen Sie ja kein Geheimnis daraus, dass Sie auch Gefahren für die Ausübung des Ayurveda im Westen sehen.

Dr. Jeevan: Das Gute hier ist, dass die Menschen sehr offen für alternative Medizinsysteme und pflanzliche Anwendungen sind.
Die Gefahr ist, dass die Menschen sehr schnell studieren wollen, um dann mit Halbwissen ohne jegliche Tiefe zu praktizieren. Ayurveda wird damit zu einer Modeerscheinung mit der man schnell Geld machen will.
In Indien spricht man erst von einem ayurvedischen Arzt, wenn derjenige 30 Jahre Erfahrung hat: 10 Jahre theoretisches Studium, 10 Jahre Pflanzenkunde und Herstellung, 10 Jahre praktische Erfahrung.
Ayurveda darf nicht auf Massagen oder Vata, Pitta, Kapha reduziert werden.


ayurveda-portal.de: Wie sehen Sie die Rolle von Ayurveda im europäischen Gesundheitssystem ?

Dr. Jeevan: Ayurveda ist kein alternatives Medizinsystem, es ist ein Medizinsystem, keine Alternative zu irgendwas.
Das große Potential von Ayurveda liegt in der Prävention.
Das Wissen um die Tagesrituale und die Jahresroutine ist allen zugänglich und auch für alle verständlich.
Ein Beispiel:
Ich sage, dass die öffentliche Hygiene im Westen sehr gut ist, dafür aber die persönliche Hygiene niedrig. In Indien ist das genau umgekehrt: die öffentliche Hygiene ist schlecht, aber die persönliche Hygiene ist hoch.
Der Ayurveda sagt, dass man morgens das Haus nicht verlassen soll, bevor die fünf Sinne gereinigt sind. Kapha muss ausgeleitet werden. Wie kann man der Welt auf gesunde Art  begegnen, wenn die Sinne getrübt sind ?

Wenn die Menschen das Wissen vom Leben umsetzen würden, gäbe es keine Kriege.
Bringt dieses Wissen schon den Kindern bei und legt darin die Basis für eine gute Nation.

Ein weiterer wichtiger Punkt:
Ayurveda gehört in die Rehabilitationszentren und in die Altenheime.
Viele verbinden Ayurveda heute mit 5-Sterne-Wellness-Hotels.  Das muss sich im Bewusstsein ändern.
Ayurveda ist keine teure Medizin. Man kann viel im Kleinen selbst tun.  Allein das Einmassieren eines Öles kann Menschen viel Linderung verschaffen. Ayurveda wird vielleicht nicht heilen können oder das Leben verlängern, aber Betroffene können besser schlafen.


ayurveda-portal.de: Welches sind ihre aktuellen Projekte ?

Dr. Jeevan: Zum einen ist es meine Tätigkeit hier in Castrop-Rauxel im Kerala Ayurveda Projekt. Außerdem gebe ich Unterricht in ganz Deutschland, um Ayurveda den medizinischen Berufen zu vermitteln.
Hier in Castrop-Rauxel haben wir im April mit einer kostenlosen 2-jährigen Ausbildung für Therapeuten begonnen.
Außerdem bieten wir hier eine 1000 Stunden Ausbildung für Ärzte.

Wir arbeiten mit verschiedenen Universitäten zusammen, u.a. Bonn und Bad Pyrmont  und bieten in den Krankenhäusern neben den schulmedizinischen Behandlungen auch Ayurveda Behandlungen an.  Wir haben uns dabei auf bestimmte Krankheitsbilder konzentriert: rheumatische Arthritis, Osteoporose, Polyneuropathie. Das Ganze läuft über drei Jahre und wird wissenschaftlich dokumentiert.


ayurveda-portal.de: Wie finden Sie das Ayurveda-Portal ?

Dr. Jeevan: Das Ayurveda-Portal hat es geschafft, alle Ayurveda-Leute unter ein Dach zu bringen. Das ist der große Erfolg. Man kennt das Ayurveda-Portal.
Ich sehe weitere Chancen darin, mehr medizinisches Wissen aus Indien einzubringen und zu dokumentieren.


ayurveda-portal.de: Wollen Sie unseren Besuchern noch etwas auf den "ayurvedischen" Weg geben ?

Dr. Jeevan: Im Westen versuchen die Menschen immer, in festen Kategorien zu denken, aber das ist nicht die Herangehensweise des Ayurveda.
Außerdem gilt: das Wissen vom Leben ist in uns, niemand braucht uns das beizubringen.
Ich empfehle immer, der eigenen Intuition zu vertrauen, auf den Körper zu hören, zu spüren, was Gesundheit ist, nicht der Sklave eines anderen zu werden.
Man soll nicht in die Extreme gehen, sondern einen gesunden Mittelweg wählen.

ayurveda-portal.de: Vielen Dank für das interessante Interview.

 

Kontakt:

www.ayurveda-care.de
www.keralaayurveda.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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