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Der Aufbau der vedischen Musik und ihre Wirkungsweise

27.01.2003 | von Dr.med. Ernst Schrott Der Raga Raga bedeutet Klangfarbe, Gefühl und Stimmung, auch Freude und Genuss sowie Schönheit: Es ist das, was den Geist mit Freude erfüllt. In der klassischen indischen Musik werden als Ragas die verschiedenen Tonfolgen bezeichnet, über die die Musiker improvisieren.

Denn ein Raga ist in der Maharishi Gandharva-Veda-Musik nicht etwa ein komponiertes Musikstück mit einer festgelegten Melodie, sondern ein musikalisches Grundmotiv, das eine bestimmte Stimmung wiedergibt. Einen echten Raga kann man auch nicht einfach komponieren: Er muss als Klang- und Melodiestruktur der Schöpfung intuitiv erkannt werden. Denn Ragas entsprechen laut Definition bestimmten Naturgesetzen, die zur Zeit des Vortrages vorherrschen und in den Zuhörern lebendig werden. Dabei fließen alle gegenwärtigen atmosphärischen Einflüsse in die Ragas mit ein. Als Zuhörer in einem Konzert wirken auch Sie an dem Raga mit, denn die Musiker bedienen sich der Gesamtstimmung von Ort und Zeit, der Impressionen, die sie von vielen Einflüssen her empfangen, und interpretieren sie auf der Grundlage feststehender Tonfolgen, die sich aus der Tages- und Jahreszeit ableiten. Geographie, also jeweiliger Ort, Stimmung und Zeit verschmelzen somit zu einer Einheit. Der Raga lässt sich also als atmosphärisches Gesamtkunstwerk auf der Grundlage naturgesetzlicher Abläufe definieren. Jeder Raga entfaltet daher seinen ganz besonderen Zauber, dem man sich nicht entziehen kann.
Wie alle Begriffe im Sanskrit ist auch das Wort Raga schon eine lautmalerische Wiedergabe seiner zu entfaltenden Form und Struktur, seiner besonderen Stimmung und der Schwingung, die seine Wirkung ausmacht. Die Essenz eines Raga oder einer Ragini, der weiblichen Form, das dahinter stehende Naturprinzip also, sind in Klang und Struktur des Namens enthalten, so wie sich die gesamte Information und Ausdruckskraft einer Pflanze bereits in ihrem Samen findet. Die Aufgabe des Musikers und die Kunst dieser Musik bestehen somit darin, ein Naturgesetz zu beleben und das musikalische Samenkorn aufkeimen zu lassen. Man kann einen Raga auch mit einer geschlossenen Blüte vergleichen, die sich im Laufe des Spiels und durch die Kunst des Musikers nach und nach öffnet - wie eine Blume unter dem Licht der Sonne.
Ein Raga hat einen typischen Aufbau: Er besteht aus einem langsamen Vorspiel, dem Alaap, der sich über wenige Minuten bis zu einer Stunde erstrecken kann, und den Gats, verschiedenen schnelleren Phasen des Stückes, die oft von der Tabla begleitet werden. Im Alaap liegt eines der Geheimnisse und der Zauber dieser Musik. Die besondere Art der Melodieführung, die Stille zwischen den Tönen und die Rückkehr der Melodie immer wieder zum Grundton lassen den Zuhörer eintauchen in Ruhe und Transzendenz. Mit zunehmendem Spiel und vor allem mit dem Einsetzen der Rhythmusinstrumente wird die Transzendenz der Musik und der Atmosphäre des Raumes immer mehr belebt. Es ist ganz das kosmische Schöpfungsspiel, das Prinzip des Veda, die Dynamik in der Stille, das hier ausgedrückt wird.
In den Ragas des Maharishi Gandharva-Veda liegt eine tiefe Bedeutung und Sehnsucht des Menschen nach Erfüllung und Einheit. Sie enthüllen den Urklang des Kosmos, die ewige Musik des Universums und alle Melodien, die der Schönheit der Natur Ausdruck verleihen. Ravi Shankar, neben seinem berühmten Lehrer Allauddin Khan der bekannteste Vertreter klassischer indischer Musik im Westen, hat diesen Gedanken so ausgedrückt: „Das höchste Ziel unserer Musik besteht darin, das Wesen des Universums zu enthüllen, das sie widerspiegelt. Die Ragas gehören zu den Mitteln, mit denen dieses Wesen erfasst werden kann."

Aus "Die heilenden Klänge des Ayurveda" von Dr. med Ernst Schrott, mit freundlicher Genehmigung des Haug Verlags, Copyright beim Haug Verlag.
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