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Shirodhara - Der Stirnölguss

Shirodhara - Der Stirnölguss

06.09.2021 | von Bastian Wittig - Der Stirnölguss Shirodhara ist für viele Menschen ein Sinnbild des Ayurveda. Wer kennt sie nicht – die ästhetischen Bilder vom goldenen Ölstrahl, der sich aus einem edlen Gefäß über den tief entspannten Kurgast ergießt. Und während viele Menschen, die mit Ayurveda nichts am Hut haben, allein mit dem Wort Stirnguss sofort den Ayurveda verbinden, bietet nahezu jede exklusive Wellness-Einrichtung diese königliche Anwendung an. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter dem Shirodhara und was bewirkt er? Wie kann man den königlichen Stirnguss am besten genießen?

Titelbild:  © Kzenon / Shutterstock

 

Entspannung mit therapeutischem Wert

WAS BEDEUTET UND BEWIRKT DER SHIRODHARA?

Wörtlich aus dem Sanskrit übersetzt heißt Shirodhara zunächst Kopfguss (shiro = Kopf; dhara = Guss). Gemäß der therapeutischen Klassifizierung hat er vorrangig eine stark ölende und nährende Komponente, wodurch primär das trockene und leichte Vata-Dosha besänftigt wird. Ein erhöhtes Anspannungs- und Bewegungsprinzip wird sowohl auf körperlicher Ebene als auch auf emotionaler Ebene gemildert. Der Parasympathikus, jener unbewusste Anteil unseres Nervensystems, der für Regeneration und Entspannung sorgt, wird aktiviert. Der Schlaf wird ebenfalls verbessert.

Eine weitere spezifische Wirkung des Shirodhara ist der gefäßerweiternde Effekt auf die Körperkanäle. Dies bedeutet, dass Shirodhara eine Flussanregung in unseren Blutgefäßen sowie im interzellulären Raum bewirkt. Dadurch werden einerseits bestimmte Reinigungs- und Abtransport-Funktionen gefördert, andererseits wird der Druck innerhalb der Gefäße gesenkt, was sich in einem niedrigeren Blutdruck und einer gesenkten Herzfrequenzäußern kann.

Sadhaka Pitta, ein Subdosha von Pitta, das u. a. fürIntellekt, Selbstbewusstsein und Erinnerungsvermögen steht, wird positiv angesprochen. Und Tarpaka Kapha, jenes Subdosha von Kapha, das unser Gehirn schützt und unsere Sinnesorgane nährt, wird vermehrt.

Das gleichmäßige Schwingen des Ölstrahls über Stirn und Kopf stärkt auch die Balance der linken und rechten Gehirnhemisphäre. Innere Klarheit und Ausgeglichenheit werden gefördert.

 

FLIESSENDE, UMHÜLLENDE WÄRME

Ich kann mich noch an meinen ersten Shirodhara erinnern: Nach einer entspannenden Gesichts- und Kopfmassage war ich plötzlich von fließender Wärme und weichen, harmonischen Bewegungen umhüllt. Sie gaben mir das Gefühl einer innigen Berührung. Während der Ölstrahl auf der einen Seite meiner Stirn mich förmlich streichelte, umhüllte mich auf der anderen Seite meines Kopfes noch das warme Öl und floss von meiner Schläfe entlang zum Scheitel. Ein Wonnegefühl zog mich förmlich nach innen. Innere Zentriertheit und ein Frieden breiteten sich aus – wie in einer tiefen Meditation.

Diese und ähnliche Erfahrungen teile ich mit vielen und habe sie auch an meinen Klienten erlebt. Jedoch ist diese besondere Erfahrung nicht grundsätzlich bei jedem Shirodhara zu erwarten. Sowohl die mentale als auch die körperliche Wirkung hängen von verschiedenen Faktoren ab. Sind die Temperatur und die Stärke des Ölstrahls richtig eingestellt? Sind die Gussbewegungen harmonisch? Ist das Raumklima angenehm? Wurde die Behandlung mittels einer gezielten Massage gut vorbereitet? Ist die Lagerung angenehm? Diese Faktoren werden von einem erfahrenen Ayurveda-Therapeuten natürlich berücksichtigt. Jedoch gibt es auch Einflüsse, die vom Gast selbst mitbestimmt werden und die meines Erachtens sehr wichtig sind – insbesondere dann, wenn Sie in den Genuss einer tiefergehenden Behandlung kommen möchten.

 

WICHTIGE VORAUSSETZUNGEN

Damit die positiven Wirkungen auch auf der emotionalen Ebene zur Entfaltung kommen, bedarf es einer schrittweisen Anbahnung, die eine Grundentspannung und Offenheit fördert. Kommt der Klient hingegen direkt aus dem Alltagsstress oder ist emotional aufgewühlt, kann ein Shirodhara auch als unangenehm empfunden werden. Es ist von Vorteil, mit der äußeren Umgebung der Praxis und auch mit dem Therapeuten bereits etwas vertraut zu sein. Denn beim Shirodhara werden die Sinne nach innen gezogen. Besteht eine Unsicherheit im Außen, kommt es zu Widerständen und die Behandlung kann nicht wirklich genossen werden. Sie können sich also selbst beste Voraussetzungen für eine wundervolle Shirodhara-Erfahrung schaffen, indem Sie sich einen erfahrenen Ayurveda-Therapeuten suchen, zu dem Sie eine gute Verbindung spüren. Außerdem haben Sie sich vor der Behandlung selbst weitestgehend vom Alltag gelöst und auf eine tiefe Entspannung eingestellt – zum Beispiel durch Yoga und Meditation. Ganz besonders empfehlenswert ist der Shirodhara zur Vata-Jahreszeit – also im späten Herbst und im Winter. Es empfiehlt sich die ruhige  Vormittagszeit oder der Nachmittag zur gezielten Behandlung von Vata. Sie haben mindestens eine Stunde vorher nichts gegessen. Haben Sie einen zu niedrigen Blutdruck oder eine ausgeprägte Kapha-Störung, sollten Sie auf ein Shirodhara verzichten.

 

ABLAUF EINES SHIRODHARA

Die eigentliche Shirodhara-Behandlung sollte immer miteiner Kopf- und Gesichtsbehandlung eingeleitet werden. Auch eine Ganzkörper-Ölmassage ist zu Beginn möglich. Die tiefergehende Wirkung des Shirodhara beginnt ab einer Gussdauer von 20 Minuten. Um einen sanften therapeutischen Effekt zu erzielen (beispielsweise bei Bluthochdruck, chronischen Kopfschmerzen, Schlafstörungen) bedarf es mindestens drei Shirodharas. Wobei Letzteres eine sanfte ambulante Kur darstellt und eine längerfristige ayurvedische Betreuung sinnvoll ist.
In einer stationären Intensivkur wird zur Behandlung von nervlichen Erkrankungen (z. B. Parkinson) innerhalb von sieben bis vierzehn Tagen täglich ein Shirodhara verabreicht. Es wird mit einer Gussdauer von 35 Minuten begonnen, die erst gesteigert, gehalten und dann wieder schrittweise reduziert wird. Sehr wichtig bei der Behandlung ist die Integration in ein ganzheitliches ayurvedisches Behandlungskonzept, bei dem auch Heilkräuter, eine gezielte Diät, Lebensstil-Anpassungen, ayurvedische Entgiftungsverfahren und psychologische Aspekte sinnvoll kombiniert werden.

In welchem Rahmen auch immer Sie selbst ein Shirodhara zukünftig erleben werden – innerhalb einer einmaligen Ent-spannungserfahrung, einer sanften ambulanten Kur oder einer medizinischen Intensivkur – ich wünsche Ihnen von Herzen die Erfahrung tiefer Harmonie und innerer Ausgeglichenheit.

 

Bastian Wittig ist staatlich anerkannter Physiotherapeut und medizinischer Ayurveda-Spezialist mit 15 Jahren Praxiserfahrung. Er ist Gründer des AYURVEDA CAMPUS sowie der Ayurveda Online University. Sein persönliches Motto „Gemeinsam wachsen“ zeigt sich u. a. durch smarte Ausbildungsmodelle, bei denen ein schneller Lernerfolg möglich wird und innovative Konzepte für die eigene Praxis entwickelt werden. www.ayurveda-campus.de

 

Der Artikel ist erschienen im Ayurveda Journal Nummer 67:

Hier können Sie diese Ausgabe bestellen:

https://shop.ayurveda-journal.de/ayurveda-journal-heft-67-die-panchakarma-kur-neustart-fuer-koerper-und-geist.html

 

 

 


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