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Interview mit Dr. med. Hans Schäffler

Interview mit Dr. med. Hans Schäffler

03.03.2004 | "Der Ayurveda hat im Westen eine große Zukunft."Dr. med. Hans Schaeffler gehört zu den Pionieren, die vor über 15 Jahren das Experiment gewagt haben, Ayurveda in Europa einzuführen. Durch seine langjährige Erfahrung und sein intensives Studium der Vedischen Wissenschaften gilt er als herausragender Experte des Ayurveda.

ayurveda-portal.de: Wie sind Sie zu Ayurveda gekommen ?

Dr. Schäffler: Kurz vor dem Abitur habe ich mit der Transzendentalen Meditation begonnen. Dadurch war ich bereits während des Studiums in einem Umfeld, in dem ich viele Kontakte zu Naturheilkundlern hatte. Als ich 1984 die Klinikausbildung beendet hatte, wollte ich mich naturheilkundlich weiterbilden. Gerade zu dieser Zeit wurde in den USA im Verbund mit Indien erstmalig ein einjähriges Ayur-Veda-Studium angeboten. Ich hatte gerade die Zeit und war interessiert. Das war mein Einstieg.

Wieder zurück in Deutschland habe ich dann 1985/6 zusammen mit Kollegen das erste Ayurveda-Gesundheitszentrum in der Nähe von Osnabrück aufgebaut. Das war der Beginn des Ayurveda in Deutschland. Dort blieb ich bis 1992 und habe 1993 das Ayurveda-Zentrum in Schloss Pichlarn in Österreich gegründet.

 

ayurveda-portal.de: Wie sehen Sie die Entwicklung von Ayurveda in den letzten Jahren ?

Dr. Schäffler: Ich selbst habe mit dem Maharishi Ayurveda angefangen und das war 1985 sozusagen der ‚Standard aller Dinge’. Maharishi hat den Ayurveda zusammen mit ayurvedischen und westlichen Ärzten in eine systematische Form gebracht, die man nachvollziehen konnte. Das gab es damals noch nicht. Mit dieser systematischen Aufbereitung des Ayurveda konnte man in den Westen gehen. Über viele Jahre haben sich die Maharishi Ayurveda Gesundheitszentren alleine entwickelt.

Ein Gesundheitszentrum, das ein vollständiges ayurvedisches Programm anbietet, ist ein komplexer Betrieb, der nicht so leicht zu kopieren ist. Erste Neugründungen von Ayurveda-Zentren gab deshalb erst vor ca. 12 Jahren, dann kam eine kleine Explosion an Gründungen vor 5 Jahren. In der letzten Zeit hat sich der Ayurveda vor allem im Wellnessbereich ausgebreitet. Es gibt schon fast kein Hotel mehr, das nicht Ayurveda im Prospekt hat.

Hier muss man sich dann leider fragen, wo die Qualität bleibt. In den meisten Fällen werden Kosmetikerinnen oder Heilmasseure in wenigen Tagen in die ayurvedischen Behandlungen eingeschult. Um zumindest einen minimalen Standard zu erreichen, habe ich einer Firma, die Fortbildungen für Hotels anbietet, einen einwöchigen Einsteiger-Kurs in Ayur-Veda angeboten. Das wurde mit der Bemerkung abgelehnt, die Hotelbetreiber könnten ihre Angestellten auf keine so langen Kurse senden.

Ich habe natürlich nichts gegen Ayurveda-Massagen in den Wellness-Zonen von Hotels. Das Problem ist die Qualität und Kennzeichnung. Wenn ich eine normale westliche Nackenmassage anbiete, schreibe ich ja auch nicht an die Türe „westliche Medizin“. Wenn ich aber eine Massage aus Indien anbiete, dann hängt da ein Schild „Ayurveda“. Ayurveda ist aber eine vollständige Heilkunde. Das ist regelrecht eine Irreführung der Leute.

Andererseits gibt es eine wachsende Zahl von Interessenten, die selbst lange in Indien Ayurveda gelernt haben oder hier eine gute Ausbildung suchen. Ayurveda ist erst am Anfang, sich hier als Medizin zu etablieren. Es wird also noch eine Zeit dauern, bis sich Qualitätsmerkmale für den Ayurveda entwickelt haben. Aber ich gehe davon aus, dass - wie sonst auch - der Markt und die Kunden das Feld bereinigen werden.

 

ayurveda-portal.de: Wie gewährleisten Sie in Ihrem Hause die Qualität ?

Dr. Schäffler: Ich habe lange Zeit mit dem Maharishi Ayurveda gearbeitet. Ein Grund war der hohe Standard der Ausbildung. Im Maharishi Ayur-Veda gilt das Prinzip, dass der Ayurveda Teil des Veda und ohne diese spirituelle Position nicht vollständig ist. Ich bin allerdings mittlerweile aus dem Dachverband ausgeschieden, weil das wechselseitige Geben und Nehmen für mich nicht mehr stimmig war. Außerdem hat sich das System den ungeheuren Schwung der Pioniersjahre verloren und tritt meiner Ansicht nach auf der Stelle. 

Für mich dagegen ist Ayurveda eine Medizin, die auf traditionellen Grundlagen fußt, aber in der Auseinandersetzung mit der Umwelt sich ständig weiter entwickelt. So bauen wir auch unsere Ausbildungen auf. Eine Quelle für Qualität sind die alten vedischen Texte und natürlich der direkte Kontakt zu medizinischen Einrichtungen in Indien, wo man sich beraten und austauschen kann. Dazu kommt der Kontakt mit Kollegen. Nur so ist auch Weiterentwicklung möglich.

Der Ayurveda war zu seiner Gründungszeit vor ca. 3.000 Jahren eine revolutionäres Wissen, dass die Medizin seiner Zeit vollkommen verändert hat. Dieses Potential hat der Ayurveda auch noch heute. Er wird bei der gegenwärtigen Strukturkrise des Gesundheitswesens dringend gebraucht. Dazu muss er lebendig und im Kontakt mit der Zeit bleiben, ohne seine Grundlagen zu verlieren.

 

ayurveda-portal.de: Ayurveda und Anti-Aging ist ein Schwerpunkt bei Ihnen. Würden Sie das bitte näher erläutern?

Dr. Schäffler: Seit zwei Jahren hat mich das Thema der orthomolekularen Medizin gepackt. Sie geht davon aus, das Krankheiten auf einen Mangel an Nährstoffen (Vitamine, Mineralien, Mikronährstoffe oder Amonisäuren) beruht. Ich war erstaunt, was für ein Wissenspotential dort zur Verfügung steht. Die Anknüpfungspunkte zum Ayurveda sind groß.

Unsere Nahrungsmittel haben nicht mehr den Gehalt an Mikronährstoffen wie noch vor 50 Jahren, so dass die Menschen immer mehr in einen Vitamin- und Nährstoffmangel geraten, der über die Nahrung nicht mehr aufholbar ist. Das ist eine Situation, die es vor 3.000 Jahren nicht gab und die sich der Ayurveda heute stellen muss. Man kann sich nicht hinstellen und vom Gleichgewicht der Doshas durch die Ernährung sprechen, wenn in den Nahrungsmitteln inzwischen die wichtigsten Vitalstoffe einfach fehlen. Auch die ungeheure Belastung mit Zucker und Auszugsmehlen ist ein großes Problem. Von der Orthokularmedizin kann man sich Anregungen holen, wie man dem Organismus wieder die Bausteine zuführt, die zu einem gesunden Leben benötigt werden. Erst dann sind Reinigungsbehandlungen und der Aufbau mit Heilkräutern wirklich sinnvoll.

Eine weitere Anknüpfung zur modernen Medizin ist das Anti-Aging.

Der Ayurveda hat vor 3.000 Jahren eine eigene Disziplin geschaffen, die man heute mit Anti-Aging übersetzen würde. Dahinter stand das Bemühen, alt zu werden ohne zu altern. Die moderne Anti-Aging-Medizin hat dieselbe Richtung eingeschlagen und wird dort, wo es um Vorbeugung eines vorzeitigen Alterns geht, in ihrem Denken zunehmend ganzheitlicher.

Der Ayurveda beschäftigt sich seit über 3000 Jahren mit den Naturgesetzen und hat durch Beobachtung und Intuition gewisse Gesetzmäßigkeiten erkannt, die heute über Laboruntersuchungen bestätigt werden. So sind Ayurveda und die moderne Anti-Aging Medizin für mich ein gelungenes Beispiel, wie sich alte Weisheit und moderne Forschung gegenseitig befruchten können.

 

ayurveda-portal.de: Wie sehen Sie den Ayurveda in der mittleren Zukunft. Welchen Stellenwert wird er im westlichen Gesundheitssystem haben?

Dr. Schäffler: Wir sind vor 20 Jahren ursprünglich ausgezogen in dem Glauben, der Ayurveda könnte das Dach aller Naturheilweisen sein. Aber das ist eine mehr kindliche Hoffnung gewesen. Der Ayurveda wird sich wie die chinesische Medizin etablieren und er wird sich um so besser etablieren, je besser die Ärzte sind, die ihn praktizieren. Die chinesische Medizin hat 20 Jahre Vorlauf vor dem Ayurveda und hatte über die Akupunktur einen guten Einstieg in das westliche Denken. Diesen Vorsprung muss der Ayurveda noch aufholen.

Der Ayurveda ist in seinem ganzheitlichen Denken unübertroffen. Man kann jetzt schon ansatzweise erahnen, wie die Grundprinzipien des Ayurveda die verschiedenen Disziplinen der Naturheilkunde und der Schulmedizin befruchten und zum Teil durchdringen werden. Es wird Rückkopplungen geben, die den Ayurveda im Sinne einer lebendigen „Wissenschaft vom Leben“ wieder voranbringen.

Der Ayurveda hat im Westen eine große Zukunft. Er repräsentiert einen großen Teil des kognitiven Menschheitswissens und der ursprünglichen Weisheit der Großmütter über Gesundheit, das im Westen in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen ist. Immer mehr Ärzte, Heilpraktiker und Therapeuten werden sich deshalb davon angezogen fühlen.

 

ayurveda-portal.de: Es gibt verschiedene Linien im Ayurveda. Zum Teil versuchen diese sich auch bewußt gegeneinander abzugrenzen. Das führt manchmal zu Verunsicherung. Wie sehen Sie hier die weitere Entwicklung ?

Dr. Schäffler: Ich denke, entsprechend der menschlichen Natur werden diese verschiedenen Linien bestehen bleiben und sich eher weiterentwickeln. Das sieht man auch bei den verschiedenen Ärzteverbänden, die es inzwischen gibt. Ich denke, das ist normal, denn jeder Mensch will in seinem Bereich nach seiner Intension tätig sein. Solange man sich noch unterhalten kann und sich nicht als Gegner sieht, ist das ja auch in Ordnung. ... Problematisch wird es, wenn man sagt, man hat den besseren Ayurveda als der andere. Natürlich kann man sich zu den Fragen der Qualität und des Wissensstand auseinandersetzen, aber grundsätzlich geht es darum, die unterschiedlichen Interpretationen des Ayurveda zu verstehen und zu würdigen.

Es wird keine einzig richtige Interpretation des Ayurveda geben. Jeder der das glaubt, läuft in die Gefahr, sektiererisch zu werden. Auch in Indien findet man verschiedene Zugänge zum Wissen des Ayurveda. Indien ist ein Land mit über 1 Mrd. Menschen. Im Himalaja interpretiert man die alten Schriften anders als im Süden. Flora, Fauna, Klima, das Temperament der Menschen sind völlig unterschiedlich und so ist auch der Zugang zu den Dingen, schon aus der langen Tradition heraus, ein anderer.

 

ayurveda-portal.de: Die Anerkennung von Ayurveda durch die Krankenkassen hat Vor- und Nachteile. Anerkennung bedeutet immer auch Standardisierung. Wie sehen Sie das ?

Dr. Schäffler: Wenn Sie mich ganz persönlich fragen, so bin ich froh, dass der Ayurveda zur Zeit noch nicht Teil der offiziellen Medizin ist und damit nicht von Krankenkassen reglementiert wird. Das gibt ihm den Freiraum, sich zu entwickeln und zu wachsen. Der Ayurveda hier im Westen ist noch zu jung und in der Therapie noch zu wenig standardisiert, so dass er den üblichen Reglementierungen von Kassen noch nicht standhalten kann.

Wir kennen das Problem auch aus der Akupunktur. Viele Ärzte rechnen die Akupunktur nicht über die Kasse ab, weil sie sagen, dass sie zu dem Satz keine gute Behandlung durchführen können. Ein ähnliches Problem könnte im Ayurveda entstehen. Das geht dann auf Kosten der Aufmerksamkeit, der Sorgfalt und der eingesetzten Materialien. Für mein Gefühl braucht der Ayurveda noch Zeit, um in der Auseinandersetzung mit dem Westen Formen zu finden, die für Ärzteverbände und Krankenkassen standardisierbar sind. Das sollte nicht zu früh erfolgen.

Vielleicht reformiert sich in der Zwischenzeit das System der Krankenversicherung und nimmt Züge an, wo mehr Vielfalt und Selbstverantwortung von Arzt und Patient möglich sind. Dann kann ich mir auch eine Einbettung des Ayurveda in das Kassensystem vorstellen, wodurch er natürlich für eine größere Zahl von Patienten attraktiv werden würde.

 

ayurveda-portal.de: Welche aktuellen Projekte stehen bei Ihnen an ?

Dr. Schäffler: Da entwickeln sich zur Zeit einige Projekte parallel. Wir werden weiterhin die Verbindung von Ayurveda und Anti-Aging zu einer größeren Reife bringen. Dieses Konzept spricht auch Männer an, die sonst mit dem Begriff Ayurveda eher Wellness und Kosmetik verbinden. Wir haben ein klares Programm, dass die Hemmschwelle für Männer nieder hält. Es eignet sich für Kuren mit einem hohen Erholungswert und kann auch im Seminarbereich eingesetzt werden.

Ein anderes Projekt ist die gesamte Ausbildung. Unser Plan ist es, in Österreich einen anerkannten Standard an Ausbildung zu schaffen, so dass Therapeuten danach selbständig praktizieren können. Die Schule wird 3 Jahre dauern und die gesetzlich vorgeschriebenen 650 Stunden umfassen.

Geplant sind die Bereiche Therapie, Gesundheitsberatung und ein eigener Ausbildungsbereich für Ärzte. Der Ayurveda ist für Ärzte sehr interessant. Jedoch sehe ich den Sinn einer Weiterbildung weniger darin, dass die Kollegen fertig konfektionierte, ayurvedische Mittel verordnen könne. Vielmehr geht es mir um die ayurvedische Form des „Sehens“ und „Denkens“. Der Ayurveda denkt in ganzheitlichen Systemen und das kann den medizinischen Alltag wesentlich bereichern. Ayurvedische Präparate dagegen sind abhängig von Verfügbarkeit, von Lieferanten und vom Gesetzgeber. Deshalb ist es mir wichtig, dass das Denken an vorderster Stelle steht und erst in zweiter Linie die Mittel.

 

ayurveda-portal.de: Wie finden Sie das Ayurveda-Portal ?

Dr. Schäffler: Ich finde es gut, dass es eine Plattform gibt, auf der sich ohne Neid und Missgunst verschiedene Anbieter offen präsentieren können. Wenn sich daraus ein Gedankenaustausch entwickelt, ein gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen, dann ist es noch besser. Außerdem können sich Besucher sehr schnell ein Bild von der Bandbreite des Ayurveda und seiner Angebote machen. Das Ayurveda-Portal ist eine wichtige Anlaufstelle geworden.

 

 

ayurveda-portal.de: Dr. Schäffler, vielen Dank für dieses Interview.

 

 

Curriculum Vitae: Dr. Hans Schäffler

1977 medizinisches Staatsexamen
1978 Ausbildung zum Lehrer für Transzendentale Meditation
1983 Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ayur-Veda
1984 Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin, außerdem Zusatztitel für Naturheilverfahren der Dt. Ärztekammer
1984/85 Ausbildung zum Maharishi Ayur-Veda Arzt in Indien, USA und Europa. Studium des Ayur-Veda bei den führenden ayurvedischen Kapazitäten Indiens.
seit 1985 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ayur-Veda
1986 Aufbau des ersten ayurvedischen Gesundheitszentrums in Deutschland
seit 1986 Zahlreiche Seminare über ganzheitliche Medizin und Stressmanagement
seit 1993 Ärztlicher Leiter des Maharishi Ayur-Veda Gesundheitszentrums im Hotel Schloss Pichlarn
Dr. Schäffler hat einen wichtigen Beitrag zur Formulierung des Ayur-Veda und dessen Prinzipien im deutschsprachigen Raum geleistet. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Buchbeiträge über Ayur-Veda. Dazu kommen regelmässige Vorlesungs- und Vortragstätigkeiten, Sprecher bei Symposien, Seminaren und medizinischen Kongressen zum Thema Maharishi Ayur-Veda.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter folgender website: www.ayur-veda.at


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