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Interview mit Hans H. Rhyner MD, Ph.D.

Interview mit Hans H. Rhyner MD, Ph.D.

21.04.2003 |  "Western Dilution of Ayurveda - da geht mir der Hut hoch." Der gebürtige Schweizer Hans H. Rhyner gilt heute als einer der führenden und international anerkannten Ayurveda-Experten. Als Pionier der Ayurveda-Medizin in Europa geht es Hans H. Rhyner um Anpassung und Integrierung der in Indien praktizierten Methoden und Lehren in unser westliches Denken und Wissen.

 
 

ayurveda-portal.de: Dr. Rhyner, wie sind Sie zu Ayurveda gekommen?

Hans Rhyner: Ich ging 1975 nach Indien, nicht direkt wegen Ayurveda, sondern weil ich mich vor allem für Yoga interessierte. Ich habe dort die Ausbildung zum Yogalehrer und für Yoga-Therapie - Heilen mit Yoga - gemacht. Ich entdeckte dann nach einiger Zeit, dass ich bei vielen Patienten mit Yoga-Therapie allein an die Grenzen stoße. Und da ich mich in Indien in dieser Zeit schon familiär gemacht hatte, mit vielen Freunden und inzwischen auch eine Landessprache sprach, bekam ich dann die Möglichkeit, Ayurveda von wirklich ausgezeichneten Lehrmeister zu lernen. Das war damals noch keine Selbstverständlichkeit.
Man muss verstehen: Indien hatte über 300 Jahre Kolonialzeit hinter sich und sie waren grundsätzlich nicht bereit, das Ayurveda-Wissen so einfach weiterzugeben. Unter den englischen Kolonialherren war Ayurveda quasi verboten. Es gab Ayurveda nur im Untergrund und diese Lehre hat nur überlebt, weil es in der alten Tradition, von Vater meistens zu Sohn, aber auch von Meister zu Schüler übertragen wurde. Erst nach der Unabhängigkeit hat man dann begonnen, Ayurveda überhaupt an einem College zu lehren. 1928 hat übrigens Mahatma Gandhi versucht, von den Engländern die Bewilligung für ein College für indische Medizin zu bekommen. Es wurde ihm abgeschlagen. Erst nach der Unabhängigkeit 1949 wurde Ayurveda durch eine zentrale Gesetzgebung langsam wieder etabliert. Ab 1976 gab es dann erstmalig ein einheitliches Gesetz und eine Ärztekammer. Die Lehrer, die an diesen Colleges lehrten, vor allem auch meine Lehrmeister, sind alle noch aus der Generation, die selber keine universitäre Ausbildung hatten. Sie sind alle traditionelle Ayurveda-Ärzte, die erst spät in Ihrer Laufbahn eine akademische Anerkennung gemacht haben. Zum Beispiel hat einer meiner Meister sein Doktorat in Sanskrit mit 43 Jahren gemacht, nicht in Ayurveda, hatte dann aber einen Lehrstuhl für innere Medizin der Ayurveda im Bangalore College. Dieser Arzt wurde nach seiner Pensionierung zu meinem Mentor. Um ihn herum gab es eine Gruppe alter pensionierter Ayurveda-Lehrer /Meister, mit denen gemeinsam wir dann später eine Stiftung gegründet haben. Ich hatte erkannt, dass diese Art von Ayurveda-Meistern am Aussterben ist. Alle diese Meister, die ich hatte und die in dieser Stiftung waren, sind inzwischen auch schon alle verstorben. Dank dieser Grand Signeurs habe ich Ayurveda auf dem silbernen Tablett serviert bekommen, mit der Bedingung, dass ich dieses Wissen dann in den Westen tragen werde. So bin ich gehätschelt und getätschelt worden, alle Türen wurden geöffnet, alles Wissen wurde mir von diesen alten Lehrmeistern vermittelt.
Wir haben auch zusammen angefangen, den ersten Ayurveda-Lehrgang zusammenzustellen, Ich bin damals in die Schweiz gefahren, habe Broschüren zusammengestellt, habe Reklame in verschiedenen Zeitschriften gemacht. Damals wollte jedoch noch keiner, wir haben keine Kandidaten gefunden. Allerdings wollten wir, das muss ich dazusagen, die Ausbildung in Indien, in Bangalore machen, dort wo ich zu der Zeit lebte. Aber niemand war bereit, für ein paar Monate nach Bangalore zu reisen, um Ayurveda zu lernen. Dann haben wir beschlossen, ok, wenn keiner nach Indien kommen möchte, dann kommen wir eben in den Westen.
Die Art und Weise wie ich Ayurveda lernte war zuerst über viele Jahre eindeutig traditionell im Meister-Schüler-Verhältnis, allerdings auch mit Prüfungen…es wurde immer geschaut, dass ich auch etwas gelernt hatte.
Erst später habe ich dann noch die Möglichkeit bekommen, Ayurveda auch offiziell an einem College zu absolvieren. Wenn man eine bestimmte Anzahl von Jahren Erfahrungen mit Ayurveda vorzuweisen hatte, war es damals in Indien noch möglich, an einem College weiterzustudieren. Ich weiß gar nicht, ob das heute noch möglich ist. Ich habe dann eine Doktorarbeit geschrieben und meinen MD (Anm. der Red.: medical doctor) und PhD (Doktorat der Philosphie) in alternativer Medizin bekommen.


ayurveda-portal.de: Wie sehen Sie die Rolle von Ayurveda in Europa, vor allem auch im europäischen Gesundheitssystem?

Hans Rhyner: Hier in Europa ist Ayurveda etwas anderes als in Indien. Ayurveda hat auch eine andere Aufgabe. Wir sind sicherlich eine Nischentherapie und es wäre nicht sinnvoll, die medizinische Grundversorgung im Westen mit Ayurveda zu ersetzen, so wie es in ländlichen Gegenden Indiens noch der Fall ist.
Aber Ayurveda hat sehr viel zu bieten in dem großen Bereich Wellness, wobei man sagen könnte, Ayurveda sei das älteste Wellness-System der Welt, aber man muss auch dazu sagen: es ist eben wesentlich mehr.
Heute unterscheidet man bei Wellness noch zusätzlich ein sogenanntes Medical Wellness. Hierbei geht es um die Gesundheitsvorsorge, die Prophylaxe. Gesundbleiben, das ist ein großes Thema und da wird zur Zeit auch sehr viel gemacht. Vor einigen Wochen wurde ich von einer sehr großen Gruppe eingeladen, die Hotels in ganz Europa besitzt. Sie hatten intensive Marktforschungen in Auftrag gegeben, mit wirklichen Spitzenleuten in diesem Feld und haben für mich daraus eine Präsentation zusammengestellt. Ich war schon sehr überrascht, was da für Deutschland raus gekommen ist. Zum Beispiel, dass mittlerweile 70% der Bevölkerung mit Alternativmedizin etwas anfangen können. dass der Trend der Zukunft ist, vermehrt in die eigene Gesundheitsvorsorge zu investieren und dass über 50% der Menschen in Deutschland sagen, wenn sie Urlaub machen, dann möchten sie auch etwas für ihre Gesundheit tun. Es wurde weiterhin untersucht, welche Trends innerhalb des Bereiches Wellness nicht nur eine Modeerscheinung sind, sondern Bestand haben werden und da sind sie auf zwei Systeme gekommen: das eine ist Ayurveda, das andere Thalasso.
Da diese Leute riesige Investments mit einem Horizont von 20 Jahre machen, ist Ayurveda in deren Augen nicht nur ein Modetrend, sondern noch in 20 Jahren da. Es ist sehr wichtig, wenn Spitzenleute der Wirtschaft so denken wie wir. Entsprechend sind jetzt sehr große Projekte zu erwarten, wo Ayurveda mit eingebunden wird. Ich habe drei Großkunden, die ganz große Projekte planen, bei denen Ayurveda auf eine Ebene gehoben wird, die ein Individuum nicht verwirklichen könnte.
In ein bis zwei Monaten kann ich Ihnen mehr darüber erzählen – noch sind all diese Projekte in der Projektierungsphase. Aber so viel kann ich Ihnen sagen: in Zukunft werden sich die besten Köche des Landes mit der ayurvedischen Küche befassen.


ayurveda-portal.de: Sie sind der zuständige Berater in diesen Projekten?

Hans Rhyner: Ja, diese Leute haben mich als Berater für Ayurveda hinzugezogen.


ayurveda-portal.de: In dieser Untersuchung kam TCM gar nicht vor?

Hans Rhyner: TCM ist Medizin. Bei den hier angesprochenen Projekten jedoch geht es um Medical Wellness, das heißt, es geht um die Sinne. Und wenn wir von Tourismus und Projekten solcher Art reden, dann müssen die Sinne involviert sein. Das kann nur Ayurveda bieten.


ayurveda-portal.de: Hat dies denn Auswirkungen auf die Anerkennung von Ayurveda durch die Krankenkassen?

Hans Rhyner: Das ist die andere Seite.
Bisher haben wir von Ayurveda als Medical Wellness gesprochen. Das Schöne an Medical Wellness ist, dass es um 100% der Bevölkerung geht und nicht nur um 5% Kranke. Das ist ja das, was Ayurveda so interessant macht.
In der Schweiz ist es so, dass jeder Patient von mir, der eine Zusatzversicherung für Alternativmedizin hat, die Behandlungen, Medikamente und Beratung von der Krankenkasse rückerstattet bekommt. Das Gleiche ist auch schon der Fall bei einigen Zusatzversicherungen in Deutschland und Österreich.
Ich denke, dass es bei den Versicherungen einen deutlichen Trend in diese Richtung gibt.
Es braucht einfach mehr selbstbewusste Konsumenten, die auf ihre Rechte pochen, indem sie sagen, wir bezahlen so viel, dann bestimmen wir auch, was wir bekommen.

Wenn wir hier über die Anerkennung von Ayurveda sprechen, stellt sich natürlich automatisch die Frage, als was es denn anerkannt werden soll.
Ich musste kürzlich für den Schweizer Naturärzteverband, bei dem ich Mitglied bin, einen Brief der Behörden Zürich’s beantworten. Die Frage war, was ist Ayurveda nun eigentlich, Wellness oder Medizin? Die Behörden wissen mittlerweile, es gibt Ayurveda als Gesundheitsvorsorge, dass auch eine Nicht-Medizinalperson durchführen kann, aber es gibt auch den medizinischen Teil von Ayurveda. Und dieses Bewusstsein dringt durch. Interessant ist auch, dass ich bei Herrn Fliege gelesen habe, dass auch er klar unterschieden hat zwischen medizinischen Panchakarma-Kuren und einfach Wellness-Panchakarma-Kuren.


ayurveda-portal.de: Wir würden gerne auf Ihre aktuellen Projekte zu sprechen kommen. Sie empfehlen in letzter Zeit vermehrt ayurvedische Präparate, die man über eine Apotheke in Wien beziehen kann, bzw. über diesen Apotheker in jeder Apotheke erhältlich sind…

Hans Rhyner: Ja, hierbei handelt es sich um sogenannte Monopräparate (Anmerk. d. Red.:das sind Präparate, die nur aus einem Inhaltsstoff bestehen) Ich arbeite in Europa seit 15 Jahren mit Monopräparaten. Sie sind absolut zulässig in der klassischen Ayurveda. Man muss in Der Ayurveda nicht mit den komplexen Medikamenten arbeiten, die sich aus Dutzenden von Pflanzen und Mineralien zusammensetzen. Wenn ich Erfolg mit solchen Medikamenten habe, weiss ich ja nicht, welcher Wirkstoff für die Besserung eigentlich verantwortlich war. Im negativen Fall, d.h. bei einer Unverträglichkeit, Nebenwirkungen oder Allergien, weiss ich auch nicht auf welche der 40 bis 70 Bestandteile diese zurückzuführen sind. Deshalb wünschen die Behörden einfache Phytopräparate. In der USA schreibt z.B. das FDA (Food and Drug Administration) vor, dass sich ein Kräuterpräparat aus maximal fünf Ingredienzen zusammensetzen darf.
Schon seit langem bin ich der Meinung, daß wir jetzt mit Monopräparaten unsere Erfahrungen sammeln müssen, damit wir, falls uns eines Tages durch Gesetzesänderung die Zulassung unserer registrierten Medikamente entzogen wird, Monopräparate haben.
Und das ist die Idee dahinter. Mit den Monopräparaten, die wir jetzt schon zur Verfügung haben, 26 Stück in der ersten Stufe, können wir schon 75-80% der Indikationen, die wir hier in Europa haben, abdecken. Sie könne auch miteinander kombiniert werden.
Ein weiterer Vorteil dieser Monopräparate ist ihre dokumentierte Lieferkette.
Der Hersteller der Konzentrate gibt ein Zertifikat über seine Produkte. Alle Importe werden dann in einem Labor in Wien überprüft. Der Inhaber des Labors, Magister Doskar gleichzeitig auch Apotheker, steht für die Reinheit der Produkte gerade und wenn irgendwas ist, mit diesen Präparaten, dann ist nicht der Arzt oder der Therapeut schuldig, sondern so wie es eben sein soll, die Apotheke oder der Importeur. Das heißt, die Kette der Verantwortlichkeiten ist klar geregelt.
Wir können nicht erwarten, dass wir mit Ayurveda eine Sonderwurst fahren können. Die Regel in Deutschland ist: ein Arzt darf keine Medikamente abgeben. Nur die Apotheke. Wir müssen diesen Weg gehen, weil das nun mal Gesetz ist. Wir können nicht unter dem Therapietisch noch ayurvedische Präparate oder Medikamente abgeben. Da macht man sich einerseits strafbar, und andererseits tut man Ayurveda, den Patienten und sich selbst damit einen schlechten Dienst. Denn was geschieht, wenn irgendwas mit den Präparaten ist? … Nebenwirkungen sind auch bei ayurvedischen Präparaten möglich!. Wenn jeder Arzt, Heilpraktiker oder Ayurveda-Therapeut mit seiner nächstgelegenen Apotheke redet, und sagt: „Hören Sie, ich mache Ayurveda. Ich möchte diese folgenden Medikamente abgeben. Es handelt sich bei allen um Monopräparate. , Ich schicke Ihnen zukünftig Leute vorbei mit einem Rezept oder einer Empfehlung.“, Dann wird die Apotheke sicherlich kooperieren.
Der Apotheker würde dann an den Apotheker in Wien herantreten, der gleichzeitig ein Großhändler ist und Apotheken beliefern darf, d.h. er hat eine Lizenz, um solche Präparate auch zu verkaufen.

Somit ist die Kette dokumentiert, vom Ursprung zum Verbraucher. Nur so geht es bei Medikamenten. Das ist Gesetz in jedem Land in Europa. Man muss jederzeit die ganze Kette von der Heilpflanze bis zum Verbraucher nachvollziehen können. Falls mal jemandem übel wird dabei, dann weiß man, wo die restliche Präparate sind. Man muss einfach langfristig denken.


ayurveda-portal.de: Sie haben ja noch ein anderes Projekt, das Sie begleiten und zwar „wellments“. Können Sie uns etwas über die Hintergründe verraten?

Hans Rhyner: Der Ayurveda sagt, dass Produkte, die wir täglich brauchen, aus der unmittelbaren Umgebung kommen sollen, in der jemand lebt. Das war die Idee. Das wollte ich realisieren.
Öle zum Beispiel, die ich mir jeden Tag einstreiche, die ich über lange Zeit verwende, wie auch bei den Kuren, die müssten eigentlich aus Europa kommen, so war mein Gedanke.

Bereits vor 12/13 Jahren, Ende der 80ger Jahre, hatte ich angefangen, mit einem der Ärzte von unserer Stiftung, westliche Heilpflanzen nach Ayurveda-Kriterien zu „übersetzen“. Nach guna, rasa, virya, vipaka,prabhava und karma, also nach Ayurveda Pharmakologie. Die Formeln habe ich eigentlich schon über 12 Jahre in der Schublade gehabt, aber ich habe nie jemanden gefunden, der das auch wirklich wollte.
Und plötzlich siehe da, ging es. Ich habe jetzt jemanden gefunden, der dies umsetzt und der auch menschlich dahinter steht, wo eben alles stimmt.
Wir haben jetzt mit europäischen Ingredienzen ayurvedische Öle hergestellt und zwar 100% nach ayurvedischen Richtlinien der Herstellung, zum Beispiel bezüglich des Kochens. Und diese Öle entsprechen zu 100 % der EU-Norm.
Unser Hersteller in Innsbruck hat eine Zulassung und sichert eine lückenlose Dokumentation in Punkto Ingredienzien und Herstellungsprozess. Auch gibt es zu den Produkten Toxikologie- und Haltbarkeitsstudien, was sicherlich alles wichtige Aspekte sind.


ayurveda-portal.de: Dr. Rhyner, als Dozent sind Sie hin und wieder am Mahindra-Institut tätig…

Hans Rhyner: Ja, unsere Zusammenarbeit läuft seit 1,5 Jahren. Dort werden verschiedene Ideen und Konzepte von mir umgesetzt.
In einer Zusammenarbeit ist es mir vor allem wichtig, dass es menschlich stimmt und es ist wirklich eine schöne Zusammenarbeit mit Kerstin und Mark Rosenberg.
Auch von den Möglichkeiten, die das Institut insgesamt bietet, ist es eine Bereicherung. Es wird einfach sehr professionell geführt.
Ich möchte vor allem als Dozent arbeiten und nicht selbst Ausbildungen und Seminare organisieren müssen. Deshalb arbeite ich mit dem Mahindra-Institut zusammen.


ayurveda-portal.de: Wo kann man von Ihnen Konsultationen erhalten, außer in Ihrer Praxis in der Schweiz?

Hans Rhyner: Meine Zulassung als Naturarzt für Ayurveda und allgemeine Naturheilkunde beschränkt sich auf den Kanton Appenzell AR in der Schweiz.
Ich kann jetzt nicht zur gleichen Zeit in verschiedenen Ländern praktizieren und deshalb ist meine wirklich medizinische Tätigkeit meiner Praxis in Herisau vorbehalten. Ich mache auch Beratungen in Wien am Ayurveda Fachinstutut Anemonya. Dort arbeite ich mit einem niedergelassenen Arzt zusammen. Das wäre grundsätzlich auch in Deutschland oder anderen Ländern möglich. Die Rosenbergs und ich denken über eine Konsultationsmöglichkeit im nächsten Jahr in Birstein nach.


ayurveda-portal.de: Von wo kommen Ihre Patienten und wie sieht die Betreuung aus?

Hans Rhyner: Es kommen mehr und mehr kranke Menschen, vor allem chronisch kranke Menschen für eine Konsultation zu mir. Sie kommen aus ganz Europa. Die weiterführenden Behandlungen werden dann in der Regel in der Nähe des Wohnortes des Patienten vorgenommen. Ich kann z.B.. sagen: „Aha, Sie kommen aus dem Elsaß. Also da wüsste ich jemand, der könnte die begleitenden Therapien machen. Ich verschreibe Ihnen jetzt die notwendigen Medikamente und Sie kommen in zwei Monaten wieder, damit ich Sie wieder anschauen kann.“
Um diese kontinuierliche Betreuung zu gewährleisten, bin ich auch wieder zurückgekommen nach Europa. Das ist mir sehr wichtig.
In Indien hatte ich zwar eine große Klinik und viele Patienten, aber diese Menschen kamen für einige Wochen, vielleicht auch mal für eine 2 Monats-Kur, aber danach sah ich sie nicht wieder. Und wenn sie dann später wieder ein Problem hatten, konnte ich sie nicht unterstützen. Das ist für keinen Therapeuten befriedigend.


ayurveda-portal.de: Haben Sie eigentlich noch einen persönlichen Ayurveda-Meister?

Hans Rhyner: Meine Großmeister sind leider alle verstorben. Ich habe natürlich viele Kollegen in Indien, die ich regelmäßig konsultiere.


ayurveda-portal.de: In dem Film von Pan Nalin hat man ja einige außergewöhnliche indische Ärzte kennengelernt.....

Hans Rhyner: Also, wenn man es genau nimmt, dann wurde in diesem Film eigentlich kein Ayurveda gezeigt, sondern eher Ethno-Medizin und Siddha-Medizin. Das ist natürlich viel interessanter und sensationeller, als einfach nur in eine Ayurveda-Klinik zu gehen, was man bei Ayurveda nur hätte machen können.
Der Arzt, der am meisten in dem Film gezeigt wurde, Brahmanad Swamigal, ist ein Siddha-Mediziner aus Coimbatore in Tamil Nadu. Und die anderen Ärzte waren Ethno-Mediziner.
Ok, ich sehe Siddha auch als einen Zweig von Ayurveda an. Aber so sehen es weder die klassischen Ayurveda noch die Siddha Mediziner. Es gibt aber nur zwei Colleges in Tamil Nadu an denen man diese wunderbare Wissenschaft in der Lokalsprache lernen kann. Ich habe verschiedene Techniken aus der Siddha Medizin in meine Praxis integriert.
Es gibt in Indien verschiedene Medizinsysteme neben der Allopathie: Ayurveda, Siddha und Unani, aber es gibt auch die Ethno-Mediziner, und hierbei handelt es sich vor allem um Orthopäden und Hebammen.
Auch dieser Orthopäde im Film, der dem kleinen Mädchen geholfen hat, ist ein Ethno-Örthopäde, der Großartiges vollbringt. Verstehen Sie mich richtig: Das ist wunderbar, was dort praktiziert wird und im weitesten Sinne kann man das auch unter den Namen „Ayurveda“ packen ...und natürlich macht es den Film interessanter.
Ich erinnere mich, dass es bei mir in Indien auch immer wieder diese Anfragen von Fernsehteams gab: „Du kennst doch bestimmt ein paar Heilige, die Wunder machen. Das wäre sehr gut für uns.“ Am liebsten wollten sie die „miracle healers“ haben. Gerade das ist ja äußerst spannend für einen Film.
Nichtsdestotrotz: Ich freue mich über diesen Film, er hat uns für Ayurveda viel Goodwill gebracht. Es gibt viele, viele Leute, die davon begeistert sind.


ayurveda-portal.de: Noch eine Frage in eigener Sache: Wie finden Sie das Ayurveda-Portal?

Hans Rhyner: Ich habe mich gefreut, dass das Ayurveda-Portal sehr modern gestaltet ist. Es hat ein sehr schönes Design und ist nicht auf Ethno gemacht. Gerade das gefällt mir.
Das ist in meinen Augen einfach ein grundsätzliches Thema: Ayurveda ist ein universelles Prinzip. Es ist Schicksal, dass Ayurveda im heute politisch-geografischen Indien überlebt hat. Wenn wir die Klassiker studieren, dann wird da nie von Indien geredet, sondern immer von der ganzen Welt. Wenn wir Charaka lesen, ist es wichtig zu erkennen, dass Ayurveda ein universelles Prinzip ist und nicht nur bei Indern wirkt. Genauso wie bei Aspirin, das von Bayer Leverkusen, einer deutschen Firma, erfunden wurde, ist es selbstverständlich, dass es nicht nur bei Deutschen wirkt, sondern auch bei Japanern und Südamerikanern. Das sind eben generelle, universelle Prinzipien.
Ayurveda ist immer mit der Zeit gegangen.
Die Buddhisten, das waren ja die Bücherverbrenner, haben die Veden nicht akzeptiert, aber Ayurveda haben sie übernommen. Also hat Ayurveda schon vor 2,5 tausend Jahren bewiesen, dass es keine Hindu-Medizin ist, wie die Engländer gesagt haben, sondern universelle Medizin. Und das ist sehr wichtig.
Es geht darum, Ayurveda hier im Westen für uns anwendbar zu machen und das ist auf jeden Fall eine Bereicherung für Ayurveda. Obwohl leider viele Inder anders denken.
Es gab ja kürzlich diese Konferenz in England mit dem Titel: „Western Dilution (Verwässerung) of Ayurveda“. Und da geht mir natürlich der Hut hoch, denn, nochmals: was wir machen ist eine Bereicherung für Ayurveda.
Ich kann mich noch erinnern, wie wir 1991 diese wunderschöne neue Klinik in der Schweiz hatten. Es kamen natürlich sehr viele Ayurveda-Ärzte aus Indien, aber nicht nur Ärzte, sondern auch wichtige Personen von indischen Behörden, also Leute, die in Punkto Ayurveda sehr viel zu sagen hatten. Alle waren so begeistert und sie sagten: „warum gibt es so was Schönes nicht in Indien?“. Also ist es keine Verwässerung sondern ein Gewinn. Darum geht es mir manchmal in die falsche Kehle, wenn Ayurveda zu sehr auf indisch gemacht ist.
Bitte verstehen Sie: Ich habe sehr viel Respekt vor Indien, ich habe dort 25 Jahre lang gelebt und dieses Land hat mir das allergrößte Geschenk meines Lebens in den Schoss gelegt!
Ayurveda versteht sich als universelles Prinzip, das entsprechend „time, place, and circumstances“ adaptiert werden soll. Und da liegt die Kreativität von Ihnen und von uns als Ärzte, da sind wir gefordert.


ayurveda-portal.de: Dennoch besteht die Gefahr der Verwässerung, dadurch dass Ayurveda immer populärer wird. Ist wirklich noch Ayurveda drin, wo Ayurveda drauf steht?

Hans Rhyner: Ja, aber was wollen Sie wirklich gegen eine Verwässerung machen?
Meine Herangehensweise ist folgende: wenn ich Ayurveda praktiziere, dann versuche ich, die allerbeste Ayurveda zu machen. Damit kommt jeder unter Druck, es ebenso gut zu machen oder wenigsten zu probieren.
Ich war früher selbst auch ein ganz heftiger Kritiker, aber zehn Jahre später, sehe ich es etwas anders. Vielleicht ist es eine Alterserscheinung, vielleicht auch eine Einsicht. Aufgrund meiner Erfahrungen werte ich es nur aus dem Blickwinkel heraus, was es einem Menschen bringt. Es kommt beispielsweise ein Patient zu mir und ich weiß, er war in einer Ayurveda-Behandlung auf Sri Lanka, an einem Ort, den ich kenne und wo ich weiß, dass da ein sehr verwässertes Ayurveda gemacht wird… und der Kunde ist begeistert und sagt, es hat mir was gebracht. Das heißt doch, man muss vorsichtig sein: wer sagt denn, es ist verwässert oder nicht?
Für diesen Klienten – objektiv betrachtet, von der hohen medizinischen Warte - hätte ich sagen können, es ist verwässert, aber das „verwässerte“ Ayurveda hat so viele Menschen zu Ayurveda gebracht, denn am Anfang haben sie einfach nicht mehr erwartet.


ayurveda-portal.de: Gibt es zum Abschluss noch etwas, was Sie unseren Besuchern mitgeben möchten?

Hans Rhyner: Ja, vielleicht einen Gedanken, den ich in meinem letzten Buch „Das Ayurveda-Kamasutra“ angesprochen habe: wenn wir unsere Sinne einsetzen, dann leben wir gesund. Es muss das Ziel eines Arztes, eines Therapeuten sein, den Menschen wieder dahin zu bringen, dass seine Sinne geschärft sind und dass er das Selbstbewusstsein hat, auf seine eigenen Empfindungen zu hören.
Es gibt da diese schönen Beschreibungen in der Sushruta Samhita: früher hatten die Könige ja alle Ayurveda-Leibärzte. Die waren den ganzen Tag, 24 Stunden, beim König, haben ihn beobachtet und haben gesagt, was er jetzt essen oder tun soll. Selbst der allerbeste Ayurveda-Arzt, auch jeder moderne Arzt, kann nur durch indirekte Beobachtung schließen, was gerade im Organismus seines Patienten passiert.
Es hat aber jeder von uns sehr feine Sinne. Die Sinne sind überall und können die feinsten Wechsel der Doshas wahrnehmen. Das heißt, es geht jetzt nicht darum, fix nach einer Tabelle zum Beispiel Pitta-Ernährung zu sich zu nehmen, sondern zu spüren, was brauche ich heute. Vergiß die Tabelle. Es braucht letztendlich keine Tabellen.
Die Tabellen sind da, um wieder zu mir zurückzufinden, aber letztlich, wenn ich gelernt habe, auf meine Körpersignale, auf meine Sinne zu hören, dann mache ich jederzeit das Richtige, im Psychischen, im Emotionalen, im Ethischen und im Physiologischen.


ayurveda-portal.de: Vielen Dank Hans Rhyner für dieses ausführliche und interessante Interview.



Kurzbiographie
Der gebürtige Schweizer Hans H. Rhyner gilt heute als einer der führenden und international anerkannten Ayurveda-Experten. Als Pionier der Ayurveda-Medizin in Europa geht es Rhyner um Anpassung und Integrierung der in Indien praktizierten Methoden und Lehren in unser westliches Denken und Wissen.
Rhyners Wissen ist äußerst authentisch, lebte er doch 25 Jahre in Indien und studierte vor Ort indische Philosophie, Sanskrit, Yoga, Vastu, Siddha und Ayurveda. Einen Teil der Studien übte er im traditionellen Meister-Schüler-Lehrsystem aus, schloss sie aber mit zwei medizinischen Diplomen ab - als Arzt und als Doktor der Alternativmedizin. 1988 gründete er mit seinen Lehrmeistern und Professoren in Bangalore, wo er bis ins Jahr 2000 seine eigenen Kliniken führte, die Stiftung „Ayurveda Research Centre International".
Damals wurde ihm der Auftrag erteilt, Ayurveda im Westen zu verbreiten. Aus diesem Anlass arbeitet Dr. Rhyner seit 1992 u.a. als kantonal approbierter Heilpraktiker in Appenzell, wo er zum Mitbegründer des ersten Ayurveda-Hospitals außerhalb Indiens, der Ayurveda Clinic Walzenhausen, wurde. Der nächste wichtige Schritt war die Gründung der SEVA Akademie in 1994.
Rhyner lebt und praktiziert in der Schweiz, hat mehrere Bücher veröffentlicht und arbeitet eng mit dem Ayurveda Fachinstititut Anemonya in Wien zusammen.
Er lehrt und hält Vorträge auf der ganzen Welt und arbeitet in vielfältigen, interessanten Projekten, mit dem Ziel, Ayurveda in den Westen zu intergrieren

Bücher:

Hans-Heinrich Rhyner
Das Praxis Handbuch
Ayurveda , 2. Auflage
Hardcover, 552 Seiten
zahlreiche Farbabb., Tabellen und Grafiken
ISBN 3-908645-59-X
Dieses Buch können Sie hier bestellen.

Hans-Heinrich Rhyner
Gesund leben, sanft heilen mit Ayurveda
Format 16,5 x 24 cm Softcover,
144 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen
ISBN 3-908646-89-8
Dieses Buch können Sie hier bestellen.

Hans-Heinrich Rhyner
Richtig YOGA
BLV Verlag ISBN 3-405-14493-0
Dieses Buch können Sie hier bestellen.

Hans-Heinrich Rhyner
Mit YOGA im Gleichgewicht
BLV-Verlag ISBN Nr. 16137-1
Dieses Buch können Sie hier bestellen.


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