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Medizinierte ayurvedische Öle, Teil 2

Medizinierte ayurvedische Öle, Teil 2

08.04.2011 | Ein Artikel in 3 Teilen über die Bedeutung, Herstellung und Anwendung von medizinierten Ölen im Ayurveda. 2. Teil: Die genaue Herstellung der Öle unter Berücksichtigung von agni und ihre Anwendung. Von Dr. Sajan Kumar S. Read also in English

Im 1. Teil ging es um die Bedeutung der Öle und den philosophischen Hintergrund. Der 2. Teil führt weiter die philosophischen Aspekte aus und beschäftigt sich mit der Herstellung medizinierter Öle.

Auf der körperlichen Ebene können wir ohne weiteres die festen, flüssigen und gasförmigen Bestandteile, welche stellvertretend für die Elemente stehen, voneinander unterscheiden. Auf der feinstofflichen Ebene ist dies jedoch nicht möglich. Gemäß dem Konzept des Ayurveda sind die Bestandteile des Körpers in ihrer feinstofflichen Form nicht voneinander trennbar. Auf einer feinstofflichen Ebene stellt jedes Element ein Gemisch dar, in dem auch Anteile der anderen Elementen enthalten sind. Der menschliche Körper ist weder ausschließlich feinstofflich, noch ausschließlich grobstofflich. Aber selbst dann wären die festen, flüssigen und gasförmigen Bestandteile untrennbar voneinander. Praktisch gesehen, existieren sie alle mehr oder weniger überall im Körper. So sind auch Sauerstoff und Kohlendioxid, Wasser Lymphe, Plasma, Proteine, Fette, Glukose u.s.w.  überall und in jeder Zelle enthalten. Es ist die Dynamik, die alles überall existieren lässt. Von Seiten der Statik kann ein Objekt nicht an einem Ort sein, der von einem anderen Objekt eingenommen wird. Durch die Dynamik aber wird es möglich, dass der gleiche Platz mit einem oder mehreren anderen Objekten geteilt werden kann. Ebenso ist es möglich, dass ein einzelnes Objekt den Platz von vielen ausfüllt. Die festen Bestandteile des Körpers sind verhältnismäßig statisch und die flüssigen, gasförmigen und energetischen Bestandteile sind dagegen dynamisch. Aus einer anderen Perspektive heraus gesehen, ist der Teil des Körpers, welcher die Anatomie umfasst, relativ statisch und der Teil, welcher die Physiologie umfasst, dynamisch. Ebenso ist Materie relativ statisch und Energie relativ dynamisch.

Leben ist ein Phänomen, welches beide Bereiche, den der Statik und den der Dynamik, in sich selbst ausgleicht. Kapha ist für den mehr statischen Bereich des Körpers zuständig und Vatha  für den mehr dynamischen Bereich. Pitha befindet sich in der Mitte von beiden und trägt die Qualität, snigdha in sich, während es die Form von dravam einnimmt, welche als flüssige Eigenschaft verstanden werden kann. Die Fähigkeit des Fließens, die den flüssigen Substanzen eigen ist, stellt einen Kompromiss oder Ausgleich zwischen Statik und Dynamik dar. Diese Fließbewegung ist vergleichbar mit der Bewegung, eines Steines, der am Ende einer Schnur angebunden ist und im Kreis herumgewirbelt wird. Dieser Stein wird einerseits ständig nach außen geschleudert und verlässt aber dennoch nicht seine Kreisbahn, deren Abstand zum Mittelpunkt unverändert bleibt. Der Stein wird einerseits in Bewegung gesetzt und kommt gleichzeitig auch wieder zum Stillstand! Fließende Flüssigkeiten sind durch die Schwerkraft gebunden, so wie der Stein an der Schnur festgebunden ist. Im Gegensatz zu dem Stein, bewegen sich die fließenden Substanzen, bedingt durch die leichte Schräge, aus dem Gleichgewicht heraus und zwar immer in Richtung des Zentrums der Schwerkraft. Theoretisch könnte ihr Fluss nur dort, im Zentrum der Schwerkraft, zu einem Stilllstand kommen, sofern sie nicht zuvor durch Hindernisse blockiert werden. Andererseits sind flüssige Substanzen, anders als die festen, nicht vollständig an die Schwerkraft gebunden. Flüssigkeiten besitzten einen bestimmten Grad der Bewegungsfreiheit. Diese Freiheit wird dadurch eingeschränkt, dass sie nicht nach oben fließen und nicht ohne Unterstützung frei stehen können. Dies wird durch saram, die Eigenschaft des sich Ausbreitens von Pitha, ausgedrückt. Flüssigkeiten gehen daher einen Kompromiss zwischen Statik und Dynamik ein, neigen sich aber bis zu einem gewissen Grad in Richtung Statik.

Wasser bildet die Grundlage für das Leben und das Medium, welches alles miteinander verbindet. Leben ist wie ein dynamisches Bild und Wasser stellt den Untergrund oder die „Leinwand“, für dieses Bild dar. Andererseits verknüpft es die stabilen und die dynamischen Prinzipien des Lebens miteinander. Das Überwiegen der konvergierenden Kraft im Element Wasser, durch die es dazu befähigt wird, kugelförmige Tropfen zu bilden und die es dazu zwingt, immer abwärts zu fließen, wird durch die Eigenschaft, snigdham, zum Ausdruck gebracht, welche die Teilchen zusammenführt und anneinander bindet. Die Neigung zur Konvergenz kann als ein Streben in Richtung Stabilität und Statik im Zentrum der Schwerkraft verstanden werden. Durch diese Tendenz wird die feste Materie erschaffen und erhält ihre Stabilität. Somit gilt diese Neigung zur Konvergenz als Kapha-anregend, da sthiram (stabil), guru (schwer), snigdham (ölig), seetham (kalt), mandam (träge) u.s.w. alles Eigenschaften sind, welche auf Kapha hindeuten. Auf der Ebene des Kosmos führt die Dominanz der konvergenten über die divergente Kraft zur Materialisation oder zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Materie. Divergenz detmaterialisiert alles und führt es in dynamische Energieformen über. Das Element Vaayu oder Luft, stellt das entsprechende Gegenstück zum Wasser dar. Vaayu beinhaltet die Eigenschaft der Levitation, ist jedoch nicht völlig frei von der Wirkung der Schwerkraft. So wie das Element Wasser einen Ausgleich zwischen Stabilität und Mobilibät schafft mit einer Neigung zur Stabilität, so besitzt Vaayu eine Neigung zur Mobilität, was ihm die Qualitäten, der Trockenheit, Leichtigkeit, Dynamik, Porösität u.s.w., verleiht und Vaatha anregt. Für die Aufrechterhaltung des Lebens und des Wachstums sollte die konvergierende, materialisierende Kraft überwiegen, wodurch die wichtige Bedeutung von snigdham und der Lipide, die für das Wachstum, den Erhalt und die Verjüngung des Lebens, sowie für die Heilung degenerativer Erkrankungen eine wichtige Rolle einnehmen, verständlich wird.

Im Ashtaanga Hrudaya wird erläutert, dass Abhyanga die Faltenbildung und das Altern hemmt, dem Körper zum Wiederaufbau nach physischer Anstrengung und Auszehrung verhilft und dass sie Vaatha ausgleicht. Das regelmäßige Auftragen von einfachem Sesam- oder Kokosnussöl oder von mediziniertem Öl ist in Kerala eine Tradition. Das Einölen des Körpers verhindert die Trockenheit der Haut, Brüchigkeit und Spaltung der Haare und Nägel und fördert allgemein das physische Wachstum und die Vitalität. Je nach Bedarf oder Krankheit, steht eine große Auswahl an verschiedenen Haarölen und Ölen für den Kopfbereich zur Verfügung.


Die Berücksichtigung von agni bei der Herstellung

Ein ayurvedisches Öl ist nicht etwa nur ein Gemisch aus verschiedenen Kräutern und anderen Zutaten, vielmehr erfordert jedes Öl auch eine ganz bestimmte Form der Zubereitung, die in ihrem Ablauf einzigartig ist. Hierfür wird das Öl mit den anderen Zutaten erhitzt und zum Kochen gebracht. Der Grad des Kochens variiert je nach Bereich und Art der Anwendung des Öls. Im allgemeinen gehören zu den Zutaten eines medizinierten Öls neben dem Basisöl, auch ein Teil Flüssigkeit, ein Teil Paste und ein Teil Pulver. Der flüssige Teil setzt sich aus frischen Kräutersäften, Kräuteraufgüssen (1 Teil getrocknete Droge mit 16 Teilen Wasser gekocht und bis auf 1/8 der Menge reduziert), aus Milch, Joghurt, Wasser oder anderen Zutaten zusammen. Die Paste wird aus frischen zermahlenen Kräutern oder aus getrockneten Kräutern, die mit Wasser vermischt werden, hergestellt. Der Pulver-Anteil besteht normalerweise aus aromatischen Substanzen und Harzen, welche ätherische Öle beinhalten und dem Öl zum Ende des Garungsprozesses zugegeben werden. Das Sammeln der frischen Kräuter und Zutaten und deren Verarbeitung, das Zerkleinern und Zermahlen, das Pressen des Saftes und die Zubereitung des Dekoktes, welche einen stundenlangen Kochprozess erfordert, bis die Wassermenge sich auf 1/8 reduziert hat, sowie das anschließende Kochen des Öls bis der gesamte wässrige Anteil darin verdampft ist, macht die Zubereitung eines ayurvedischen Öls zu einem äußerst zeit- und arbeitsaufwendigen Verfahren.

Wenn sich der Wasseranteil in dem Gemisch nahezu vollständig verflüchtigt hat, so dicken die festen Bestandteile mehr und mehr zu einer Paste an. Ab dieser Stufe bedarf es der regen Aufmerksamkeit, damit der Vorgang im richtigen Moment gestoppt werden kann, denn entscheidend ist, je nach Art und Bereich der Anwendung, ein bestimmtes Stadium, bis zu welchem der Garungsprozess fortgesetzt wird. Wenn die festen Bestandteile, die sich am Boden absetzen, eine wachsige Beschaffenheit erlangen, ist das Öl in einem Stadium, welches für die innere Einnahme, wie z. B. Snehapaanam, Nasyam, Vasthy u.s.w., geeignet ist. Die hartzige Konsistenz, für die ein längeres Kochen erforderlich ist, entspricht dem Stadium, welches für äußere Anwendungen auf der Haut geeignet ist. Für die Anwendung als Haaröl ist ein noch längeres Kochen notwendig, bis der Bodensatz eine trockene und bröselige Eigenschaft erlangt hat. Diese Stufe wird als die „Sand-Stufe“ bezeichnet. Ein anderes Zeichen, welches anzeigt, dass diese Stufe erreicht ist, äußert sich in dem intensiven Duft, der durch die nun frei werdenden Aromen entfacht wird und sich im Raum verströmt. Die Logik, die sich hinter diesen verschiedenen Stufen der Garung verbirgt, steht in Verbindung mit dem Agni oder Element Feuer, welches alles „verdaut“. Agni ist der Vermittler innerhalb aller Verbindungen und auch Trennungen, es ist Zeuge in allen Vorgängen und Geschehnissen und es ist Ursache für alle Transformationen. Agni ist überall in verschiedenen Formen anwesend und es hält alles in einem ständigen Wandel. Im menschlichen Körper ist Agni jeweils in unterschiedlicher Form und Intensität vorhanden. Das Agni in den Schleimhäuten gilt als verhältnismäßig intensiv, weshalb der Grad des Kochens der Öle für die innere Einnahme kürzer ist. Das Agni der äußeren Haut ist niedriger, weshalb das Öl für diesen Bereich einen längeren Garungsprozess benötigt und das für die Haare benötigt den maximalen Grad der Garung. Ebenso wie die Nahrungsmittel so weit gegart werden, dass sie von den Verdauungsorganen weiter verarbeitet werden können, so verdaut jede Oberfläche im Körper das Öl bis zu der Stufe, ab der die Essenz vom Körper akzeptiert und aufgenommen werden kann.

Wenn das Öl aus mangelnder Achtsamkeit über die Stufe der sandigen Konsistenz hinaus erhitzt wird, so verbrennt es und wird daher als „verdautes“ Öl bezeichnet. Dieses Öl besitzt keinerlei medizinischen Wert, sondern gilt vielmehr als toxisch und hat die Eigenschaft, alle Doshas aus dem Gleichgewicht zu bringen. Diese drei Garungsstufen leiten sich aus der Beobachtung und dem Wissen um die verschiedenen Wirkungsweisen von Agni ab. Die Stufe der Garung bis zur sandigen Konsistenz, entspricht derjenigen einer vollreifen Frucht, die ein intensives Aroma verströmt. Die Stufe des verbrannten oder „verdauten“ Öls entspricht im Vergleigleich dazu der überreifen und faulenden Frucht. Die gleiche Vorstellung lässt sich auch auf die Zubereitung und Garungsstufen von Nahrungsmitteln anwenden. Diese verschiedenen Konsistenzen, welche das Sediment annehmen kann, zeigen indirekt die unterschiedlichen Gleichgewichtszustände der dualen Kräfte. In dem schlammigen Stadium überwiegt die Kraft der Verbindung und Akkumulation über die des Zerfalls und der Vereinzelung. In den folgenden Stadien, nimmt diese Kraft mehr und mehr zu. Durch den Garungsprozess wird die Statik immer stärker und die Flexibilität geht verloren. Im sandigen Stadium ist keine Flexibilität mehr vorhanden und das Sediment beginnt hier in einen Zustand des Zerfalls und der Brüchigkeit überzugehen. Dies ist nun der Punkt, an dem die Zerfallskräfte über die akkumulativen Kräfte zu dominieren beginnen.

Diesen Aspekten der Zubereitung wurde in früheren Zeiten eine wichtige Bedeutung beigemessen. Als es noch keine Manufaktur im größeren Umfange gab, stellten die Ärzte meist kleine Mengen Öl für ihre eigenen Patienten her. Das Material, aus dem der Topf und die Gefäße bestanden und dessen Stärke, das Holz für das Feuer, auf dem das Öl zubereitet wurde, die Zeit, die dafür aufgewendet wurde u.s.w., waren von hoher Wichtigkeit. Für jedes medizinierte Öl wurde eine bestimmte Holzart verwendet. Manche Ärzte zögerten den Garungsprozess auf der letzten Stufe noch in die Länge, indem sie das Feuer löschten und das Öl auf der Glut noch weiter garen ließen, was den Vorgang um weitere 23 bis 24 Stunden verlängerte. Nach ayurvedischem Verständnis werden die Qualitäten der Milch, der Dekokte, der medizinierten Öle und Ghees, durch die verschiedenen Metalle, mit denen sie in Kontakt geraten, beeinflusst und verändert. Aus diesem Grund beschränkten sich einige Ärzte in früheren Zeiten darauf, weitgehend natürliche, nichtmetallische Materialien in der Ölherstellung zu verwenden. So diente beispielsweise ein Fasergewebe vom Blattansatz der Kokosnusspalme als Tuch für die Filterung des Öls im Anschluss an den Garungsvorgang.

Die Rezeptur, die Herstellung, das Anwendungsgebiet und die Anwendungsweise eines medizinierten ayurvedischen Öls, soll anhand des folgenden Beispiels, dem Dhanwantharam Thailam, beschrieben werden, welches eines der meistverwendeten medizinierten Öle darstellt. Der gesamte Prozess der Herstellung dieses Öls nimmt zwei volle Tage in Anspruch. Dabei sollte beachtet werden, dass insgesamt 1.872 Gramm getrocknete Kräuter, 8,6 Liter Milch und 40,321 Liter Wasser notwendig sind, um lediglich 768 Milliliter fertiges Öl zu erhalten! Der Kochvorgang muss also so lange fortgesetzt werden, bis insgesamt 48,921 Liter Flüssigkeit vollständig verdampft sind. Insgesamt werden 43 verschiedene Kräuterkomponenten für das Öl verwendet.

Der 3. Teil schließt mit der Zusammensetzung und Anwendungsarten anhand eines konkreten Beispieles: Dhanwantharam Thailam

Lesen Sie hier den ersten Teil.

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Dr. Sajan Kumar Somarajan
Pappelweg 33
63741-Aschaffenburg

E- Mail: vedayurkerala@gmail.com
Web: www.ayurvaidya.de

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