Status: Nicht angemeldet


Heike Seegebarth, HP - Das Ayurveda-Haus an der alten Linde

30.07.2006 |

1. Wie würden Sie die Abgrenzung von medizinischem Ayurveda zu Wellness definieren?
Wellness hat keinen therapeutischen Ansatz. In der Wellness Anwendung geht es um entspannen, sich wohlfühlen und verwöhnen lassen. Hier werden die Krankheitssymptome weitestgehend außer acht gelassen. Wichtig ist auch im Wellness schwere Krankheiten zu kennen. Es ist möglich, dass sich eine Person nicht für eine Wellness-Massage eignet, da sich die vorhandenen Krankheitsbeschwerden verstärken könnten. Ein Arzt oder Heilpraktiker, der ein fundiertes ayurvedisches Wissen hat, sollte erst abklären ob in dem Fall Entspannungsmassagen durchgeführt werden können oder nicht.

In Ayurveda wird die Person als Ganzes mit allen Symptomen betrachtet. In der Therapie ist der Ansatz die krankmachenden Ursachen zu beseitigen, und gleichzeitig die Krankheit zu behandeln. Es wird weiter gedacht als nur an eine momentane Symptomfreiheit und Wohlfühlen. Der Therapeut begleitet die Person bis sie gesund und glücklich ist oder gibt einen Spazierstock um mit der Krankheit besser leben zu können. Das hängt von der Erkrankung und dem Stadium ab.

2. Wie sehen Sie die Rolle des Ayurveda-Arztes und Heilpraktikers gegenüber dem Patienten? Welches Selbstverständnis zeichnet den Arzt oder HP aus
- aus Sicht des Ayurveda

„Der Behandler muss sein medizinisches Wissen sehr gut beherrschen (Anm.: durch Lernen von erfahrenen Ärzten und durch das Studieren der Schriften), muss ausgedehnte medizinische Erfahrung haben, Geschick und Reinheit besitzen. Das sind die vier Eigenschaften des Behandlers.“ (Charaka Samhita, Sutrasthana,IX,6) „Wie für einen Koch zum Kochen ein Gefäß, Brennstoff und Feuer notwendig sind und wie für den Eroberer zum Sieg, eine gute topographische Position, eine Armee und Waffen wichtig sind, so ist es bei dem Erfolg durch den Behandler: Der Patient selbst (Anm.: er muss mitmachen, und so seinen Teil beitragen), Helfer und Medikamente sind wichtig zur Unterstützung für den Behandler. Der Behandler spielt die wichtigste Rolle im Umgang mit der Erkrankung.“ (Charaka Samhita, Sutrasthana,IX,11-12)

- aus eigener Sicht:
Der Therapeut /Arzt holt den Patienten dort ab wo er steht und zeigt ihm, wie er von dort aus loslaufen kann um wieder gesund zu werden. Der Patient muss jedoch auch selbst laufen wollen.

3. Welche Rolle spielt Ayurveda im westlichen Gesundheitssystem heute und zukünftig? Welche Risiken und Chancen gibt es? Gibt es Unterstützung oder Hindernisse, sich als Mediziner oder HP mit Ayurveda auseinander zu setzen?
In der westlichen Medizin wird der Körper in einzelne Teile geteilt und der Mensch wird nicht im Zusammenhang gesehen. Das kann ein großes Risiko in sich bergen. Verbessert sich ein Symptom, ohne die Entstehungswurzel behandelt zu haben, kann eine „scheinbar neue“ Erkrankung an einer anderen Stelle auftreten, da die Erkrankung nicht entwurzelt wurde. Symptomfreiheit heißt nicht unbedingt Heilung. Ayurveda ist kein Gegner der Chirurgie, ein Teil von Ayurveda ist die Chirurgie. Wenn eine Erkrankung so schwer ist, dass sie nicht mehr durch andere therapeutische Maßnahmen zu heilen ist heißt es in dem ayurvedischen Text Ashtangha Hrdayam: „dies ist ein Fall für Sushrutha (ayurvedischer Text der Chirurgie)“. Allerdings wird in der Schulmedizin häufig zu schnell operiert, wenn noch andere Wege der Behandlung möglich wären. Eine Operation entfernt nicht gleich die Ursache, die zu der Störung geführt hat.
Wichtig ist ein Miteinander des Schulmediziners und des Ayurveda Therapeuten zum Wohle des Patienten. Es kann sehr vorteilhaft sein, wenn sich ein Mediziner auch mit Ayurveda auseinandersetzt um einen ganzheitlicheren Ansatz zu bekommen.

4. Gibt es Krankheitsbilder, die prädestiniert sind für die Behandlung durch Ayurveda und welche?
Besonders erfolgreich ist die ayurvedische Behandlung bei: Erkrankungen der Knochen, Nerven, Sehnen und Bänder. Dazu zählen z.B. rheumatische Erkrankungen, Bandscheibenvorfall und sämtliche Nervenerkrankungen.
Des weiteren: Verdauungserkrankungen, Allergien (Nahrungsmittel, Heuschnupfen...), Schuppenflechte und andere Hauterkrankungen, gynäkologische Erkrankungen, Schlafstörungen.
Durch Ayurveda können selbst Erkrankungen erfolgreich behandelt werden, bei denen anhand von Laboruntersuchungen etc. keine sichere Diagnose gestellt werden konnte, der Patient aber die Beschwerden verspürt. Selbst neuere, noch unbekannte Erkrankungen für die noch keine adäquaten schulmedizinischen Medikamente gefunden wurden, können anhand der auftretenden Symptome des Gesamterscheinungsbildes diagnostiziert und entsprechend mit Ayurveda behandelt werden.

5. Haben Sie Kenntnisse über Forschungsprojekte zu Ayurveda? Wenn ja, welche?
Es ist schwierig Forschungsprojekte in Ayurveda zu machen, daher werden nur wenige wirklich Aussagekräftige gemacht.
Dafür gibt es zwei Gründe:
1. in Indien fehlt häufig das Geld dafür
2. in Ayurveda ist die Behandlung individuell. Ein Rheumatiker hat, wenn alle Symptome betrachtet werden, die er verspürt, ganz andere als der nächste. Das macht dann unterschiedliche Präparate und Anwendungen in der Behandlung notwendig. Grundlage in der Forschung ist, dass ein Präparat X einer Personengruppe mit der gleichen Grunderkrankung Y gegeben wird. Bei diesem Beispiel würde allen Rheumatikern das gleiche Mittel gegeben werden. Das wäre keine ayurvedische Herangehensweise und der Behandlungserfolg würde nicht dem entsprechen, was Ayurveda vermag. Es würde sich auf eine schulmedizinische Behandlung mit ayurvedischen Präparaten reduzieren. Das ist nicht im Sinn von Ayurveda. Die Ayurveda Universität in Coimbatore, Tamil Nadu hat in der Zusammenarbeit mit der W.H.O. vor einigen Jahren eine Forschungsreihe über die Wirksamkeit des Präparates Ksheerabala 101 bei rheumatischen Erkrankungen durchgeführt. Das Endergebnis war: Es kann nicht genau nachgewiesen werden. Dabei ist dieses Präparat in bestimmten Fällen und zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Behandlung des Rheumas äußerst effektiv.
Meiner Meinung nach kann keine Forschung ohne Einbezug der individuellen Symptome im Sinn von Ayurveda aussagekräftig sein. So kann nicht die Wirksamkeit des Präparates nachgewiesen werden. In der Überprüfung der Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln zeigt sich ein ähnliches Problem, da auch hier eine individuelle Betrachtung und Behandlung vorausgesetzt wird.

Inzwischen weiß ich auch von einem ayurvedischen Forschungsprojekt nach ayurvedischen Richtlinien:
AVTAR ist ein Institut für fortgeschrittene Forschung, das zu Ayurveda Trust (AVT) Coimbatore, Tamil Nadu, Indien gehört. Zwischen ihm und  dem berühmten Samueli Institute, USA existiert eine Kollaboration zur Erforschung der Effizienz der ayurvedischen Therapie bei der Rheumatischen Arthritis. Dafür wird individuell für jeden Patienten unter 40 unterschiedlichen ayurvedischen Präparaten das passende ausgewählt. Von den Produkten wurden im Vorfeld sämtliche Laboruntersuchungen, u.a. auch nach Schwermetallen, durchgeführt. Der Ansatz in diesem Forschungsprojekt ist erstmalig nach ayurvedischen Prinzipien durch die individuelle Anwendungsweise. Bei der ersten Stufe der Forschung wird keine Panchakarma Kur durchgeführt. Es ist geplant dass nach Ablauf der Forschung 2007 eine Fortsetzung der Kollaboration durchgeführt wird, bei der die Kuren miteingeschlossen werden sollen.


6. Welche Möglichkeiten sehen Sie, sich weiterzubilden?
- Es gibt verschiedene Seminar- und Ausbildungsangebote, die mehr in die Tiefe gehen.
- In das Ursprungsland von Ayurveda gehen, um Ayurveda und die Kultur, aus der heraus Ayurveda entstanden ist vor Ort kennen zu lernen
- In den ursprünglichen ayurvedischen Schriften lesen
- Erfahrungen sammeln, durch ein ausgedehntes Praktikum in einer bestehenden Praxis oder Klinik
- Selbsterfahrung: Das Gelernte selber umsetzen
- Austausch mit anderen Ayurveda-Therapeuten

7. Reichen aus Ihrer Sicht die Diagnosemöglichkeiten des Ayurveda aus?
Früher haben die Vaidyas, von ihrem Lehrer und durch die Schriften, nur das reine ayurvedische Wissen gelernt. Heute lernt der Ayurveda Arzt im Studium und Precollege zusätzlich die naturwissenschaftliche und schulmedizinische Betrachtungsweise. Das macht es ihm manchmal schwer etwas nur mit den geschulten „ayurvedischen Augen“ zu betrachten. In Ayurveda müssen wir komplett umdenken. Für uns hier im Westen ist das mindestens genauso schwer wie für die indischen Ayurveda-Ärzte, da wir mit dieser naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise aufgewachsen sind..

Ein Beispiel aus der Praxis: Es wird ein Eisenmangel festgestellt und ein ayurvedisches Eisenpräparat wird zur Substitution gegeben. Es wurde nicht nach weiteren Ursachen gesucht. Der Eisenmangel kann auch von einer schlechten Verdauungskraft her rühren. Es kann sein, dass der Körper das Eisen nicht richtig aufnehmen kann und genauso ausscheidet, wie es eingenommen wurde. Der ganzheitliche ayurvedische Ansatz wäre hier: die Verdauungskraft stärken.

Oder sollten Ihrer Ansicht nach weitere naturheilkundliche und/oder schulmedizinische Diagnosemethoden hinzugezogen werden?
Da sich unsere Wahrnehmungsfähigkeiten im Vergleich zu früheren Zeiten reduziert haben, ist es gut gegebenenfalls auch auf die ausgefeilten modernen diagnostischen Methoden der Schulmedizin zurückzugreifen. Manchmal kann es notwendig sein etwas schulmedizinisch abklären zu lassen. Warum sollten wir uns nicht den „Fortschritt“ so zu Nutze machen?
Das Gleiche gilt für andere naturheilkundlichen Diagnosemöglichkeiten. Alles was hilft, dass das Bild der Krankheit und der Person klar umrissen werden kann ist gut mit einzubeziehen.

8. Gibt es noch Aspekte, die Ihnen speziell wichtig sind?
- Ayurveda sollte in seiner Reinform praktiziert werden, übertragen auf das Land in dem wir leben. Das Wissen basiert auf den Grundlagen der ayurvedischen Texte.
- Austausch und Diskussion zwischen Therapeuten und Ärzten von Ayurveda, Schulmedizin und anderen Verfahren
- Bereitschaft des Patienten zur Mitarbeit: „Gute Erinnerungskraft, Folgsamkeit, Furchtlosigkeit und keine Hemmungen zu haben– sind die vier Eigenschaften, die ein Patient haben sollte“ (Charaka Samhita, Sutrasthana,IX,9)

Heike Seegebarth, HP
Das Ayurveda Haus an der alten Linde
Vogelsangstr. 6
78343 Gaienhofen-Horn
E-Mail: info@traditionelles-ayurveda.de
www.traditionelles-ayurveda.de



Cookie Consent mit Real Cookie Banner